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Anhang DIE KOSMISCHE EICHUNG


1. Physikalische Details

1.1 Linearbeschleunigte Schiffe – oder: Warum die Siedler von Proxima 3 auf dem Boden stehen können (Alternativtitel: Geschwindigkeiten im Weltraum sind relativ (einfach) zu verstehen)

Die Science Fiction bedient sich gerne vielerlei zauberischer Technologien, um Raumschiffe zu einem Schiff, wie man es kennt, zu machen. Künstliche Schwerkraft, Unerklärliche Bauteile in der Schiffshülle, die es der Crew ermöglich, überall auf dem Schiff mit derselben Orientierung zu stehen. Als wäre der Weltraum auch nur ein stilles Gewässer, auf dem man treiben kann.

Aber das ist in Wirklichkeit nicht so. Solche Bauteile existieren nicht und werden aller Voraussicht nach auch nicht so bald existieren können -- es handelt sich um eine "magische" Technologie, die mehr der Bequemlichkeit des Erzählens entwächst und nicht den wissenschaftlichen Überlegungen. Das ist keineswegs schlecht, da oft Heldengeschichten und altbekannte Storymuster in der Science Fiction erzählt werden (Space Opera etc.). Die genaue Natur der Schwerkraft ist unerheblich.

Wie aber sieht die künstliche Schwerkraft in Die Kosmische Eichung aus? Trägheit ist das Zauberwort. Es ist letztlich die physikalische Eigenschaft der Personen, die allein durch die Bewegung des Raumschiffs an Bord merklich wird. Einen Ersatz für Gravitation gibt.
Folgendes Bild kann als Beispiel dienen: Ein Raumschiff, das sich relativ zu uns, dem Beobachter, in Ruhe befindet. Die Triebwerke am Ende des Schiffes erzeugen nun eine Schubkraft, die das ganze Vehikel nach vorne drückt – die resultierende Trägheitskraft (die nicht wirklich eine Kraft ist, aber sei's drum) wirkt entgegengesetzt. Sämtliche Dinge im Raumschiff wirken so, als würden sie nach hinten fliegen.
Sie fliegen nicht wirklich nach hinten. In Wirklichkeit beschleunigt der Raum um sie herum. Könnte man von außen mit einem Röntgenblick in das Schiff schauen, würde man sehen, wie die besagten Gegenstände eigentlich nur dort verharren, wo sie waren. In der Schwerelosigkeit. Der simplen und langweiligen Veränderungsapathie des Weltraums. Aus diesem Grund spricht man bei der Trägheitskraft von einer sogenannten Scheinkraft. Die Insassen an Bord sehen, wie diese Kraft wirkt.
Für die Außenstehenden ist klar, dass sie nur ein Effekt ist und lediglich das Raumschiff beschleunigt.

Am Ehesten kann man die Bewegung mit der eines beschleunigenden Zuges nebeneinanderstellen. Hierbei ist zu beachten, dass Züge in der Regel nicht ins All geschossen werden und auf Schienen fahren, die fest mit der Erde (unserem Planeten) verbunden sind. Fährt der Zug seine Bewegung an, gibt es anfänglich eine Scheinkraft, welche die Passagiere in die Sitze drückt. Folgende Skizze verdeutlicht diesen Sachverhalt:


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Abbildung 1: Der rote Pfeil zeigt die Beschleunigungsrichtung des Zugs, der blaue Pfeil zeigt die wahrnehmbare Kraft, die die Testperson nach hinten "zieht"

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Und die jetzt nachfolgende Zeichnung bringt im Grunde nichts, weil sie genau den selben Verhalt skizziert – sie ist dennoch schön anzusehen und unterstreicht den Punkt:


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Abbildung 2: Die Lokomotive hat beschlossen, aufs Gaspedal zu treten.

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Dieser Druck, den die Passagiere im Rücken spüren, nimmt ab, wenn das Gefährt eine konstante Geschwindigkeit erreicht. Gleiches gilt auch für das Raumschiff in Die Kosmische Eichung. So ist die künstliche Schwerkraft nur dann existent, wenn sich Kolonieschiff 73c in einer Beschleunigungsphase befindet.
Im Endeffekt lässt sich also sagen: Nein, in Die Kosmische Eichung existiert keine künstliche Schwerkraft in dem Sinne, dass jemand einen Schalter an der Wand umlegt und schon stehen alle. Beschleunigung des Raumschiffes und künstliche Schwerkraft sind miteinander gekoppelt und treten gemeinsam auf.
Die Schwerkraft hier ist nichts als das Beharrungsvermögen der menschlichen Körper, die nur träge den Bewegungen folgen, die das Raumschiff an sie überträgt. Die Triebwerke drücken, wenn man es so betrachtet, den Fußboden gegen die Sohlen – und das ist der Druck, den ein Mensch unter seinen Zehen verspürt, wenn er sich auf Kolonieschiff 73c bewegt.

Nicht zu vergessen: Die Orientierung, die wir Menschen als so selbstverständlich nehmen, ist ein Produkt dieser angreifenden Kräfte. Im Weltraum gibt es kein universelles Oben oder Unten. Wir Menschen nehmen den Boden als Unten war, weil die Schwerkraft allen Lebewesen diesen Verhalt "diktiert". Das heißt im Klartext, aus dem länglichen Raumschiff wird ein Turm. Bug wird oben, Heck wird unten. Aber dazu später mehr.


1.2 Ein Logikbruch? Folgerung für den interstellaren Flug ...

Wenn die Siedler die ganze Reise über stehen können, wird das Raumschiff immer schneller? Tatsächlich ist da kein Logikbruch. Zumindest habe ich bis jetzt noch keinen gefunden. Mit Leichtigkeit finden sich stimmige Erklärungsansätze, die sich irgendwo in dem undefinierten Bereich der Kurzgeschichte befinden. Vieles wird nicht erläutert und einiges habe ich bewusst ausgelassen. Denn, ehrlich gesagt, die Natur des interstellaren Antriebs ist für die Geschichte nicht wirklich relevant. Es geht um die Koexistenz zweier Technologien. Um die Verbindung Mensch und Kosmos. Was machen gigantische Distanzen mit dem menschlichen Geist?
Und wenn es irgendwann doch einen Bruch gibt, der sich auftut, kann der Leser gewiss sein, dass ich verantwortungsbewusst handele und die einzig-mögliche Reaktion darauf in die Tat umleite: Mit einem Kissen unters Bett verziehen und Augenwasser produzieren.
Zurück zur Frage: Wenn die Schwerkraft nur da ist, wenn die Triebwerke laufen, haben die Siedler nicht ein Mega-Problem? Würden sie nicht ziemlich über das Ziel hinausschießen, wenn sie ihr Ziel erreichten? Dieser Logik zufolge, hätte das Schiff seine höchste Geschwindigkeit, wenn es angekommen wäre. Das ist keine gute Idee. Weder im Vorbeiflug, noch im Falle der Kollision – Es sei denn, es handelt sich um das epische Finale einer Alien-Military-Sci-Fi-Story, in der der heroische Protagonist sich entschließt, sich für die Menschheit zu opfern und die letzte Munition (er selbst mit seinem Gefährt) einzusetzen, die feindliche Basis zu vernichten. Das liegt hier aber nicht vor. Hier ist ein Pflaster für die frisch aufgerissene Wunde des Vertrauensverlusts, was die wissenschaftliche Korrektheit der physikalischen Phänomene betrifft. Die künstliche Schwerkraft ist nicht immer aktiv. SCHOCK.
Würde das stimmen, kämen ein paar neue Probleme auf, welche sich ebenso schnell aus dem Weg schaffen lassen. Selbst, wenn die Triebwerke für einige Zeit deaktiviert wären, würde das Schiff konstant schnell bleiben (Nicht wirklich konstant, weil Staub und Gas mit dem Schiff reiben und es somit abbremst). Das bedeutet also, dass es nicht reicht. Man muss auch abbremsen, wenn man nicht übers Ziel hinausschießen will.
Wann geschah das?
Wir wissen, dass zumindest in den Phasen der Wachheit die Düsen laufen. Warum? Weil die aufgeweckten Personen nicht in Schwerelosigkeit herumschweben. Sämtliche Erzählzeit steckt in den Phasen der Wachheit.
Abseits dieser Phasen kann alles Mögliche passiert sein. Deshalb ist die logische Folgerung, dass das Schiff in den Cryoschlafphasen irgendwann gewendet wurde, um mit den Triebwerken in die andere Richtung zu feuern. Somit das Schiff abbremsen.
Eine wichtige Feststellung ist, dass die Leistung der Triebwerke konstant ist. Deshalb dauert der Abbremsvorgang exakt so lange wie der Beschleunigungsvorgang. Also kann mit einiger Sicherheit gesagt werden, dass Kolonieschiff 73c nach der ersten Hälfte eine 180-Grad-Drehung absolvierte und die Triebwerke in entgegengesetzter Richtung weiterlaufen ließ.
So wird – zeitlich symmetrisch – die gesamte Bewegungsenergie wieder „abgebaut“. Nach diesem vereinfachten Prinzip käme das Raumschiff dann mit einer Geschwindigkeit von 0 km/h am Zielplaneten an. Zumindest im theoretischen Modell.
Nachfolgend eine Skizze, die die Beschleunigung und die Momentangeschwindigkeit des Raumschiffs (hier ein Klotz mit Raketenantrieb) im Laufe der Zeit darstellt. Wir starten Links (in unserem Sonnensystem, Sol) und reisen nach Rechts (Proxima Centauri). Klar ersichtlich ist, dass die größte Geschwindigkeit in der Mitte erreicht ist. Dort wird auch die Drehung eingeleitet:

 

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Abbildung 4: In dieser schematischen Darstellung wurde auf relativistische Effekte bewusst verzichtet.

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Nun ergibt sich (wieder einmal) ein neues Problem. Wo müssen die Siedler hingucken, wenn sie nach Proxima schauen wollen?



1.2 Der Bildschirmschoner: Wo ist denn nun der rote Zwerg?

Wie eingangs erwähnt, nehmen linear-beschleunigte Raumschiffe die Gestalt und "Funktionsweise" eines Turmes an. Das gilt sowohl für die erste Hälfte, als auch für die zweite.

Wenn etwas im Bug ("oben") fallen gelassen wird, rauscht es nach unten – PARDON: Hinten – und wird so lange schneller, bis es irgendwo zerscheppert oder im schlimmeren Fall jemandem die Birne verletzt. Manch eine Person im Scifi-Genre (mit rotmarkiertem Oberteil) ist einstweilen dafür bekannt, in solchen Szenen nicht aus der Flugbahn zu treten und interessiert nach oben zu starren, während das seltsame Objekt immer größer wird und auf die Stirn zuhält …

EIGENTLICH müsste der Stern also direkt im Zenit stehen (senkrecht über den Menschen). Doch wie ist es nach der Wendung des Schiffes? Der Stern ist in der zweiten Hälfte der Reise nicht mehr für die Passagiere sichtbar. Das Raumschiff hat seinem Ziel den Allerwertesten zugekehrt! Ferner ist Proxima Centauri nicht mehr bei Ankunft zu sehen!

Zweiteres ließe sich leicht lösen: Man dreht bei Ankunft den ganzen Kahn einfach noch einmal. Fertig. Ersteres hingegen ist ärgerlicher.
Diese Komplikation hat mich ein bisschen länger beschäftigt. Bei einem längeren Text wäre es vielleicht möglich gewesen, den Umstand besser in eine Geschichte einzubauen. Dann hätten die Passagiere auf dem Personendeck in der dritten und vierten Phase der Wachheit nicht mehr in Richtung Ziel geblickt. Interessanterweise hätten sie Sol, ihren Planeten Erde, beobachten können, wie er stetig kleiner werdend in der Ferne verblasste. In einer Kurzgeschichte fand ich dafür kein Platz. Jedoch lässt sich, wie so oft, ein Schlupfloch finden, das alles vereinfacht und für wenig Stirnrunzeln sorgt: Die Simulation.
Von den Ingenieuren und Architekten des Kolonieschiffes eingebaut, umgibt die Sternenkuppel das Personendeck (Frontalterrasse) als eine Art Planetarium.  Nicht nur hatte ich dieses Bild schon zu Anfang im Kopf, es ist auch sehr praktisch, dass 73c über so etwas verfügt. Den Insassen wird eine Art Bildschirmschoner gezeigt.

 

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Abbildung 3: In dieser frühen Skizze war die Idee, die der Geschichte zugrunde lag, nur ein Gedankenexperiment. Das Design des Schiffes war bis auf die Sternenkuppel und die Frontal-Terasse noch nicht ganz ersonnen. Hier ging es nur um den prinzipiellen Aufbau und die korrekte Orientierung.

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Immer dann, wenn die Schläfer aufwachen, geht der sphärische Monitor an und zeigt, was die Bugkameras aufnehmen. Als würden sie durch eine Rückfahrkamera stieren. Es beschert so den verstörten und ängstlichen Menschen an Bord einen bekannten Anblick – etwas, das sich langsam verändert und auf das sie dennoch hin fiebern können. Dass das Bild nicht die Wirklichkeit ist, stört sie nicht.
Denn unterm Strich lügt die Simulation nicht – sie halten auf den Stern zu und kommen ihm immer näher.

 

Quellen:

[1]       Internet-Enzyklopädie Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Trägheitskraft , 06.12.2022



2. Entwicklung des Covers

 

Erste Skizze:






3. Danksagung

Vielen Dank an:

Laura, Antonia Blaik, Gunther, Katharina, Royana Helmar und einem anonymen Leser

fürs Testlesen, die wertvollen Ratschläge und die anregenden Gespräche rund um Technologie und Storytelling.

Special Thanks to Charley Langtree for helping me with the English Version.

Stand: 31.03.2023